Wertvoller Tipp oder „Gesprächszerstörer?“ – Alternativen

Viele Menschen mit Ängsten und Depressionen bekommen im Laufe Ihrer Erkrankung viele Tipps zu hören: „Stell Dich nicht so an“, „Du musst nur wollen“, „Reiß Dich mal zusammen“, „Alles wird gut“. Ich möchte mal den Ratschlag „Du schaffst das, du musst nur kämpfen!“ etwas näher betrachten. Ich habe die Erfahrung gemacht: Ich komme keinen Schritt weiter auf meinem Weg, wenn ich Ängste und Depressionen verachte, sie bekämpfe und so schnell wie möglich wieder loswerden will.

Ich bin ehrlich: Dieser Tipp kam früher auch mal von meinen Lippen. Als gut gemeinter Ratschlag und als Lebenseinstellung. Auf den ersten Blick ist er Mut machend, aber ist er das wirklich?  „Misstrauisch“ bin ich geworden, als ich eine Sendung der Reihe „Anstöße“ im Radio bei SWR 1 hörte: Es war ein Gespräch eines Krebserkrankten mit Frau Cornelia Michels-Zepp, Mainz, Evangelische Kirche. Drei sinngemäße Sätze blieben mir besonders haften: „Es geht nicht um Sieg oder Niederlage“, „Die Ratschläge haben mich aggressiv gemacht; es war, als hätten die Menschen meiner Umgebung mir die ganze Verantwortung zugeschustert“ und „Ich merkte, Leben und Sterben liegen nicht in meiner Hand.“  Ab diesem Zeitpunkt ging mir ein Licht auf, und ich habe diese Formulierung vermieden. Ich habe förmlich gespürt, wie sehr Ratschläge auch Schläge sein können.

Wenn du gegen eine Krankheit kämpfst, kämpfst du immer nur gegen dich selbst. Und – die Ratschläger geben Ihre Verantwortung ab. Der Kranke fühlt sich plötzlich ganz allein, respektlos behandelt, unverstanden und steht vor dem Berg “Ich muss nur genug kämpfen, dann schaffe ich es, meine Krankheit zu besiegen!“

Und – wenn ich es nicht schaffe? Habe ich dann nicht genügend gekämpft? Habe ich mich nicht genügend reingelegt, quasi versagt?

Dieses „Du musst nur kämpfen!“ begegnet mir überall, z. B. bei Krankenbesuchen, persönlichen Gesprächen, in sozialen Netzwerken als Kettenbriefe („Dem Arschloch Krebs Hallo sagen“), selbst bei Beerdigungen und Todesanzeigen. Ich las letztlich eine Todesanzeige: „Er hat den schwersten Kampf seines Lebens trotz aller Bemühungen doch verloren“. Ist das hilfreich? Ist das respektvoll? Ich meine „NEIN!“

Was wäre zu tun? Nun – sparsam mit Ratschlägen umgehen, gut zuhören und Ratschläge nur geben, wenn ich danach gefragt werde. Anstatt „Du musst nur kämpfen“ kann ich auch z. B. sagen: „Ich bin mir unsicher, was ich Dir sagen kann und darf. Ich wünsche Dir, dass du gut mit Dir(!) und Deiner Krankheit umgehen kannst. Wenn du möchtest, bin ich für Dich da.“

Mir ist bewusst, wie sehr diese Ausführungen polarisieren. Ich möchte sie trotzdem aussprechen und zum Nachdenken anregen.

Gehe liebevoll mit Dir um, wenn nicht mit Dir, mit wem sonst?

Hier geht es zur Sendung mit dem ganzen Gespräch.

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