„Das bin ja ich“ – Buchautor Roland Rosinus zu Gast bei der IKOS Jena

Im Rahmen der „Wochen der seelischen Gesundheit“ bot der „Gemeindepsychiatrischer Verbund Jena (GPV)“ vom 15. bis 21. Oktober 2018 ein vielfältiges Programm. Unter dem Motto „IRRSINNIG GESUND“ feierten die Organisatoren ihr 10-jähriges Mitwirken bei dem bundesweiten Projekt. Die Angebote reichten von Musik, über Theater bis hin zu Workshops, Vorträgen, Kunst, Ausstellungen und gemeinsamer Bewegung.

Ziele der Veranstaltung

Ziel war es, über psychische Krankheiten aufzuklären, sie aus der Tabu-Ecke herauszuholen, zum Nachdenken anzuregen und Möglichkeiten der Hilfs- und Therapieangebote aufzuzeigen. Eingeladen waren nicht nur Betroffene, sondern auch Familienangehörige und Personen des sozialen Umfeldes.

Theater-Workshop mit Roland Rosinus

Ein Mosaikstein der IRRSINNIG GESUND-Woche war ein Theaterworkshop mit Spielszenen zum Thema Angst und Depression, der von Roland Rosinus gestaltet wurde. Buchautor Roland Rosinus aus dem Saarland war selbst Betroffener einer Angst- und Depressionsproblematik (Panikattacken, Soziale Angst, Herzphobie, Generalisierte Angst). Er hat sie seit längerer Zeit bewältigt und schrieb die Bücher „Aus der Dunkelheit ans Licht“ und „Angst ist mehr als ein Gefühl“. Er hat 2001 mit seiner Vortragstätigkeit „Wege aus der Angst“ begonnen, die ihn durch ganz Deutschland führte. Mehr als 18.000 Zuhörer hat er bisher erreicht. Der Autor sieht seine Ängste heute mit ganz anderen Augen. „Ich habe ein neues Lebensgefühl bekommen, seit ich meine Ängste mehr und mehr als Warnsignal betrachtet habe und nicht als Krankheit“. Er ist überzeugt: „Seine Ängste besiegen und so schnell wie möglich wieder loswerden zu wollen, ist eine irrige Ansicht. Ich bekämpfe immer nur mich selbst. Es fehlt die Akzeptanz, und ich verschließe mich den Botschaften der Ängste, nämlich liebevoller mit mir umzugehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen“.

Spielszenen aus dem Vortrag „Wege aus der Angst“ – Was bringt das?

Seit einigen Jahren bietet Roland Rosinus seinen Vortrag auch als moderierte Spielszenen an. Die Mitspieler erfahren sich dabei selbst und visualisieren den Zuschauern ihre Gedanken und Gefühle. Dadurch wird das beiderseitige Verständnis verbessert: Für Mitspieler oft das erste Mal, dass sie sich respektiert fühlen, für die Zuschauer viele „Aha“-Effekte.

Mitwirkende

Tatkräftige und kompetente Unterstützung hatte er dabei von dem Theaterpädagogen Thomas Schnackenberg mit der Theatergruppe „Weltenwandler“ sowie von Gabriele Wiesner und Bettina Brenning, beide Mitarbeiterinnen der IKOS Jena-Beratungszentrum für Selbsthilfe. Weitere Workshop-Teilnehmer fanden sich aus dem Umfeld der Jenaer Selbsthilfe. Der Workshop wurde fachlich begleitet von der Ärztin Gudrun Möchel, Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes der Stadtverwaltung Jena.

Gabriele Wiesner und Bettina Brenning

Zur Sache! – Vorbereitung und Kennenlernen

Die Veranstaltung bestand aus einem mehrstündigen Workshop, in dem die Spielszenen erarbeitet und gespielt wurden. Am späten Nachmittag fand dann die Vorführung vor einem Publikum statt.

Es war förmlich zu spüren: Als sich die Mitmacher zusammenfanden und sich vorstellten, waren die vielen Fragezeichen förmlich spürbar: Was passiert jetzt? Was machen wir hier? Wird das was?

Zur Sache! – Ran an die Praxis

Roland Rosinus erklärte den Ablauf und schlug folgende Themen vor:

In „Blau“ die Ziele …

„Gehe ich zum Vortrag oder (wieder mal) nicht?“

Aufzeigen des inneren Dilemmas; „Innerer Schweinehund“; Positives Selbstgespräch vs. Negativ-„Flüsterer“; sich Ängsten stellen (Konfrontation); etwas aushalten; sich aus Kreislauf bewegen; alte Gewohnheiten (vermeintliche Schutzmechanismen) abstreifen; Vermeidungen vermeiden; etwas riskieren

Ein Interview mit der Angst„Ein Interview mit der Angst“

Ängste verstehen; Anderen Blickwinkel bekommen; Angst als eine Feindin oder als Warnsignal betrachten; Spiegel vorhalten; „ich bin die Hauptperson!“; Reden mit der Angst; gut mit sich selbst umgehen; neue Erkenntnisse bekommen und zulassen

„Ich oute mich bei meinem Chef“

Sich verbergen wollen; sich maskieren; schauspielern; gesellschaftliches Tabuthema; Befürchtungen (die oft nicht eintreten); oft auch sich selbst erfüllende Prophezeiungen; Katastrophengedanken; Problemlösungen verzögern; sich outen; erlöst sein

„Früher warst du mir lieber; du hast dich sehr zu deinem Nachteil verändert“

Beziehung; Angst und Partnerschaft; klarkommen mit Verhaltensänderung; Ändern von Gewohnheiten; Mitteilen von Bedürfnissen; besseres Selbstbewusstsein; Rollenänderung; Festhalten wollen an Rollen; Bequemlichkeiten;  bisher in der Beziehung Ungesagtes sagen und ggf. klären

Wie schütze ich mich, wenn ich Menschen begegne, die mich überwiegend durch die Art ihrer Kommunikation runterziehen?

Gesprächszerstörer; Energieräuber; Macht- und Egospiele; Selbstschutz; Gründe durchschauen; rausgehen aus dem Gespräch; selbstbewusst kommunizieren

„So Schatz, ich gehe dann mal zum Sport“

Beziehung; Angst und Partnerschaft; Autonomie; klammern; an sich ketten; begrenzen; mitfühlen/mitleiden; erpressen; suggerieren; „Du bist für mein Wohlergehen verantwortlich und der verhängnisvolle Satz „Wenn du mich wirklich lieben würdest …“

Urlaub zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort. Herr und Frau Frühling berichten von ihrem Urlaub – mit unterschiedlichen Sichtweisen und Ergebnissen

Relativieren; nur das Negative sehen; sich alles vermiesen; Erholung findet nicht statt; immer „Verrat“ wittern; Kontrollzwang; nicht abschalten können; immer den „Haken“ sehen; unbefangen sein; das Beste daraus machen

Für sich Raum einnehmen – Eine Fußgängerbegegnung in der Stadt oder „Will ich wirklich immer anderen Fußgängern ausweichen?“

Spielerisch leichtes Üben, Selbstbewusstsein; Selbstsicherheit; Polarität leben; nicht immer nachgeben; Ausgeglichenheit; Humor; Angstübungen spannend finden; Gleichgesinnte kennenlernen; sich erfahren; Anderen die Chance lassen, sich zu erfahren

Es geht los – Beispiel „Gehe ich zum Vortrag oder (wieder mal) nicht?“

Anmoderation und Gesprächsführung Roland Rosinus:

Vielen Betroffenen gelingt es nicht, zu einem Vortrag zu kommen. In ihrem Kopf mag sich folgendes Szenario abspielen: „Da ist ein Vortrag mit Roland Rosinus. Klingt interessant! Ich glaube, da gehe ich hin“. Je näher der Termin rückt, desto mehr kommen die Zweifel: „Was ist … wenn die Türen geschlossen sind? … wenn keine Toilette in der Nähe ist … wenn so viele Leute da sind … wenn ich eine Panik bekomme … und die Leute merken das. Oh nein, ich gehe lieber doch nicht hin!“

Diese Spielszene greift das Thema Vermeidung auf. Ich mache es wie immer und gehe nicht hin. Angstbewältigung besteht sinnvollerweise auch darin, mal etwas zu tun, obwohl es vielleicht weh tut, obwohl es im Bauch kribbelt. Denn „Nur vom Reden wird der Reis nicht gekocht!“, sagt ein chinesisches Sprichwort.

Nachdem die Mitspieler ihre Rollen gefunden haben, beginnt die erste Szene.

Theaterworkshop mit Spielszenen zum Thema Angst und Depression
Theaterworkshop mit Spielszenen zum Thema Angst und Depression

Die beiden Akteure legen los. Schauplatz Küche. Wir nennen sie Marion und ihre Schwester Hilde. Marion liest aus der Zeitung vor, eben der Hinweis auf den Vortrag. Hilde, zunächst genervt „Du wolltest schon 100 Mal hingehen“, schlägt dann aber vor, mitzugehen.

„Hmm, das ist aber nicht realistisch, was wir da spielen“, kommt der Einwand. „Meist gehen die Betroffenen nicht hin“.

„Stimmt!“ entgegne ich, „doch wollten wir es nicht mal anders probieren? Wie es sich anfühlt, nicht zu vermeiden?“

„Hmm ja, ok“.

Wir ändern die Stilmittel. Theaterpädagoge Thomas Schnackenberg schlägt vor, das innere Tauziehen sprachlich darzustellen.

Marion bekommt einen Negativ-Flüsterer und einen Mutmacher an ihre Seite.

Sie liest: „Vortrag am Samstag …“

„Ja, aber stell Dir mal vor, Samstag, Wochenende … du könntest auf der Couch liegen“.

„Du wolltest doch da schon immer mal hin. Sei guten Mutes, probier`s mal aus.“

„Ja, aber denk doch mal an Deinen Rücken und deine Hüften. Nachher kannst du wieder kaum gehen“.

„Nimm Dir doch einfach ein Kissen mit. Wenn der Vortrag so spannend ist, wie du vermutest, wirst du gar nicht an Dein Kreuz denken.“

„Ja, aber was ist mit Deiner Bla.a.a.se? Willst du da was riskieren?“

Marion schaut rechts und links und rutscht sichtbar nervös auf dem Stuhl umher.

„Da sind doch Toiletten in der Nähe. Und bestimmt gibt es auch eine Pause.“

„Du schaffst das einfach nicht. Du hast es bisher noch nie geschafft!“

„Nur Mut, lass Dich nicht einschüchtern. Du kannst mehr als du denkst. Vertraue Dir und wage mal etwas. Du wirst überrascht sein, wie gut du das kannst.“

Und Marion sagt: „Stopp!“ Sie vereinbart mit Hilde nach kurzem Gespräch einen gemeinsamen Besuch des Vortrages.

„Wie fühlte sich das an?“, frage ich.

„Gut!“, sagt Marion, „ich habe nun zum ersten Mal mitbekommen, wie mir der innere Flüsterer alles vermiest. Ich möchte es jetzt wirklich mal anders machen.“

Und so geht es weiter. Szene für Szene. Ob die Darsteller merken, dass sie immer nur sich selbst spielen? Es geschieht etwas Großartiges: Alle Akteure legen ihre Zweifel ab, machen Vorschläge, werden Teil des Ganzen.

Die acht Mitwirkenden wachsen zusammen zu einem Team, zu einer Einheit.

Und es macht allen ganz viel Spaß.

Wie bemerkte Bettina Brenning von der IKOS später: „Der Weg war das Ziel, die folgende öffentliche Aufführung war eher eine schöne Nebensache“.

Die Aufführung – Reaktionen der Zuhörer

Das Vorspielen vor Publikum machte allen Akteuren sichtlich Spaß. Alle wuchsen über sich hinaus und bekamen einen verdienten, herzlichen Applaus. Die Erkenntnisse für die Zuschauer fasste eine Besucherin treffend zusammen: „So etwas Authentisches habe ich zu dieser Thematik noch nicht gesehen“.

Ein gemeinsames Kaffeetrinken und Kuchenessen rundeten den Tag ab.

Sichtlich bewegend, was da zwischenmenschlich passierte. Noch einmal drücken und „Tschüss“ sagen. Die schönen Erinnerungen bleiben…